Tags: Wissenschaftssprache, Wissenschaft, Sprache
Autor/in: Caroline Breitfelder
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„Müssen die sich immer so gestelzt ausdrücken?“, empört sich Student X, als er mit Freundin Y aus dem Vorlesungssaal stapft, die kaum leserlichen Notizen nachlässig unter den Arm geklemmt. „Diese aufgeblasenen Professoren … reden so, dass man kaum ein Wort versteht … muss ich Zuhause alles wieder googeln …“
X’s Aufregung ist nicht unverständlich. Wissenschaftler*innen stehen ab und an in dem Ruf, besonders schlau daherzureden, sodass niemand mehr verstehen kann, welchen Unsinn sie da eigentlich verzapfen. Dieses Vorurteil (und auch ein bisschen X) tut den Wissenschaftler*innen allerdings Unrecht. Wissenschaftssprache ist durchaus etwas, das es zu lernen und zu verstehen lohnt, denn sie ist das Werkzeug, um wissenschaftliche Erkenntnisse weiterzugeben und für künftige Generationen zu bewahren. Betrachten wir zunächst einmal, wie sich die Wissenschaftssprache in den Generationen vor uns entwickelt hat.
Kurzer Abriss der Wissenschaftssprache im Abendland
Die erste Wissenschaftssprache des antiken Abendlandes war Griechisch und blieb es für lange Zeit, auch dann noch, als das römische Imperium die griechischen Reiche bereits einverleibt hatte; denn die zwar militärisch überlegenen Römer bewunderten (zu Recht) die griechische Kultur und den enormen Wissensschatz, den sie beherbergte.
Erst mit der Zeit mauserte sich Latein zur gleichberechtigten Wissenschaftssprache neben dem Griechischen. Im Mittelalter galt die Sprache der Römer dann als alleinige Sprache der Wissenschaft; wer etwas auf sich hielt und als Wissenschaftler oder Intellektueller etwas gelten wollte, war gut beraten, Latein zu lernen.
Im 19. Jahrhundert der Neuzeit zählte man drei führende Wissenschaftssprachen im Westen: Englisch, Französisch und Deutsch. Nach den beiden Weltkriegen setzte sich Englisch aufgrund des Einflusses Großbritanniens und der USA als führende Sprache der Wissenschaft durch. Deutsch spielt heutzutage laut dem Deutschen Kulturrat in diesem Kontext kaum mehr eine Rolle auf internationaler Ebene – nicht zuletzt, weil während des Zweiten Weltkrieges viele der führenden (jüdischen) Denker Deutschlands emigrierten, häufig in die USA.
Bedeutung der Sprache in den Wissenschaften
Unsere Sprache trägt die Wissenschaft. In den Wissenschaften, anders als beispielsweise in der praktischen Ausführung des Handwerks (und auch das wäre zu diskutieren), gibt es keinen „sprachfreien Bereich“. Was nun ist Wissenschaftssprache überhaupt? Die eine Wissenschaftssprache gibt es nicht, sondern vielmehr eine facettenreiche Varianz. Je nach Kultur, historischem Kontext und Fachbereich kann sich Wissenschaftssprache durch jeweils andere Merkmale auszeichnen.
Ein Althistoriker und ein Chemiker beispielsweise können Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet sein, doch der wissenschaftlichen Aufsatz des jeweils anderen wäre wahrscheinlich für beide größtenteils unverständlich. Nichtsdestotrotz gibt es einige Eigenschaften, die beinahe auf alle Beiträge, die in wissenschaftlicher Sprache geschrieben oder gesprochen werden, zutreffen.
Was macht die Wissenschaftssprache aus?
Wissenschaftssprache muss, beinahe wie eine Fremdsprache, gelernt werden. Studien haben beispielsweise ergeben, dass die Art, wie ein Text geschrieben ist, ob nun an der Schule oder vor allem im Studium geschieht, dessen Bewertung und Benotung stark beeinflusst, unabhängig vom Inhalt. Dasselbe Fazit wird, wenn es den wissenschaftssprachlichen Standards nicht gerecht wird, schlechter gewertet werden als ein Beitrag, der den formellen Kriterien der Wissenschaftssprache enstpricht.
Was wären nun diese formellen Kriterien? – Einige Allgemeinheiten lassen sich durchaus festmachen. So ist Wissenschaftssprache, ebenso wie es die Wissenschaft sein sollte, bestenfalls objektiv. Daher kommt das Wörtchen „Ich“ kaum in wissenschaftlichen Büchern oder Aufsätzen vor. Eher bedient man sich Passiv-Konstruktionen oder der 3. Person („der Verfasser“) und geht generell davon aus, dass alles noch diskussionswürdig und nicht das letzte Wort der Wahrheit ist.
Syntaktischer Aufbau und Struktur sind vergleichsweise komplex und bedienen sich häufig bestimmter Phrasen, die Wissenschaftlichkeit suggerieren (sollen), beispielsweise „man geht von der Hypothese aus …“ oder „es schlussfolgert daraus folgendes Fazit …“ oder „spezifische Ursachen suggerieren die Annahme, dass …“. Diese (etwas gestelzt wirkenden) Formulierungen findet man in der Alltagssprache selten. Sie sollen aber nicht nur klug wirken, sondern stellen bestimmte Orientierungspunkte in wissenschaftlichen Arbeiten dar; der Leser bzw. die Leserin weiß, was er oder sie in den kommenden Zeilen zu erwarten hat.
Natürlich spielen auch fachspezifische Fremdwörter eine große Rolle in der wissenschaftlichen (Schrift-)Sprache. Jeder Fachbereich hat hier ganz eigene Perlen zu bieten; von der „Dienstaufwandsentschädigung“, von der Beamte besonders gerne sprechen, über die „Anadiplose“, welche die Literaturwissenschaftlerin in ihren Texten findet, und die „griechische Polis“, von der ein Althistoriker schwärmt, bis hin zur „Bradiphrenie, maligne“, die der Arzt boshaft seinem verwirrt blinzelnden Patienten bescheinigt.
Jeder Fachbereich hat seine eigenen Fachbegriffe, die den Wissenschaftler*innen irgendwann in Fleisch und Blut übergehen (müssen), die Außenstehende jedoch häufig ratlos zurücklassen (und ich muss es wissen, ich wohne mit zwei Pharmazeuten zusammen).
Verschiedene Bereiche wissenschaftlichen Sprechens
Die Wissenschaftssprache dient der fachlichen Kommunikation in wissenschaftlichen Diskursen und zeichnet sich meist durch eine spezifische Kommunikationssituation und eine bestimmten (institutionellen) Rahmen aus. So wird ein Professor, der tagsüber an der Universität lehrt, mit stolzgeschwellter Brust vor seinen Student*innen einherschreitet, oder mit Kolleg*innen diskutiert und dabei gelehrte Phrasen von sich gibt, des Abends beim Abendbrot mit der Familie wahrscheinlich (hoffentlich!) ganz anders sprechen als im universitären Umfeld.
In der Forschung wird meist unterschieden erstens zwischen mündlicher und schriftlicher Wissenschaftssprache und außerdem noch nach der Funktion, welche die wissenschaftliche Kommunikation einnehmen kann. Da gibt es die Experten-Kommunikation, beispielsweise verdeutlicht durch den zuvor genannten Professor, der sich mit einem Kollegen seines Fachbereichs unterhält oder einen wissenschaftlichen Aufsatz verfasst; die Experten-Laien-Kommunikation, etwa, wenn jener Professor einen Vortrag an die „nicht-wissenschaftliche“ Öffentlichkeit hält oder ein populärwissenschaftliches Buch verfasst; oder die Experten-Nachwuchs-Kommunikation – das wäre zum Beispiel unser Professor, wie er seine Student*innen in Vorlesungen und Seminaren unterrichtet und ihnen Vorlesungsskripte austeilt.
Auch wenn wir heute nicht mehr alle Latein können müssen, um uns weiterzubilden, spielt Wissenschaftssprache noch immer eine große und wichtige Rolle, denn sie ist dazu da, uns oft abstraktes Wissen zu verdeutlichen, verständlich zu machen, einzuordnen und weiterzugeben. Daher lohnt sich die Beschäftigung mit ihren Prinzipien nach wie vor.
Weiterlesen? / Quellen
Tatsächlich wird mittlerweile recht viel zur Wissenschaftssprache geforscht, unter anderem deshalb, weil sie aufgrund der mittlerweile enorm gestiegenen Anzahl an Studierenden in Deutschland an gesellschaftlicher Relevanz gewonnen hat. Daher gibt es auch einiges an lesenswerter Literatur dazu.
Zum Weiterlesen für Interessierte bietet sich an:
- Sarah Brommers Kapitel „Untersuchungsgegenstand Wissenschaftssprache“ im Sammelband Sprachliche Muster von 2018.
- Christian Fandrychs Beitrag „Wissenschaftskommunikation“ im Werk Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext (2018).
- Das Buch Reden und Schreiben in der Wissenschaft aus dem Jahr 2007 von Peter Auer und Harald Baßler.
- Helga Esselborn-Krumbiegel: Richtig wissenschaftlich schreiben. Wissenschaftssprache in Regeln und Übungen von 2010.
- Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung von Valentin Groebner (2012).